Blendle: Wie funktioniert der Verkauf einzelner journalistischer Artikel (nicht).

Vor zwei Wochen verkündete Blendle aus den Niederlanden die Beteiligung von Springer AG und New York Times. Über das E-Commerce Portal Blendle.nl können einzelne journalistische Artikel verkauft werden. Es ist die realisierte Sehnsucht einiger Medienmenschen nach dem iTunes für Journalismus.

Warum wird das nicht funktionieren? Jedenfalls nicht so, wie erhofft?

Widmen wir uns kurz der volkswirtschaftlichen Gütertheorie. Medienprodukte sind Erfahrungs- und Vertrauensgüter. Vor dem Kauf besteht eine Unsicherheit über die Qualität ihrer Inhalte. Der Leser muss die Informationen erst aufnehmen, um dann beurteilen zu können, ob er das erhalten hat, was er erwarten konnte. Eigentlich kann er die Qualität von Informationen aber nicht ex post beurteilen, denn es herrscht auch noch eine Informationsasymmetrie. Der Autor, in unserem Fall der Journalist, weiß immer mehr als der Leser (vielleicht hat er ja seinen Ehrenkodex missachtet und eine vermeintliche Tatsache gefaked – soll’s ja geben). Entscheidend ist dann das Vertrauen in den Absender.
Die großen vertrauenswürdigen Medienanbieter bündeln ihre Angebote zu Informations-, Meinungs- und Unterhaltungs-Bouquets. Ich kann mich bei einem Spiegel, einem Handelsblatt oder einer ZEIT eben auf eine gewisse, stets subjektiv wahrgenommene Qualität verlassen. Unabhängig vom Autor, weil die Absendermarke über die Zeit zu einer Marke geworden ist, der man vertraut und mit der man vertraut ist.

Das Unbundling von Informationsbouquets verändert den Frame des Vertrauens

Greift der Nutzer oder Leser aber nicht mehr zu einem Bouquet, einem Leistungsbündel, dann verschiebt sich der Frame des Vertrauens von der Medienmarke zur journalistischen Kompetenz, der Vertrauenswürdigkeit und des charakteristischen Stils des einzelnen Autors. Um im Sprachgebrauch zu bleiben: der Frame verschiebt sich hin zur Marke des einzelnen Journalisten bzw. der Journalistin. Der Leser kauft keinen Artikel der Süddeutschen Zeitung mehr, sondern einen Artikel bspw. von Hans Leyendecker. Oder er kauft einen Kommentar von Gabor Steingart, aber nicht mehr des Handelsblattes. Genau aus diesem Grund hat Kai Dieckmann fast 50.000 Follower bei Twitter oder Gabor Steingart bald eine halbe Millionen Empfänger seines Morning Briefings.

Das Unbundling führt in der Konsequenz zum Aufstieg (und Fall) einzelner Autoren die bis dato hinter der Wand der Medienmarke verschwanden. Für den Leser aber, wird sich vielleicht so die Spreu vom Weizen trennen.

Informationensangebote führen anders als Unterhaltungsangebote nur zur Einmal-Nutzung

Eine Information ist für den Einzelnen in dem Moment keine Information mehr, in dem sie gelesen und gedanklich verarbeitet wird. Wer liest einen Zeitungsartikel schon zweimal oder gar fünfmal hintereinander? Mein Lieblingsmusikstück aber schon. So funktionieren die Power-Rotations der durchformatierten Radiosender, so funktioniert iTunes. Und nach diesem Prinzip funktionieren auch Streamingplattformen wie Spotify. Es ist Unterhaltung und emotional für das limbische System in unserem Gehirn gemacht, nicht Informationen für den Neokortex.

Der besondere Charakter von Unterhaltungsangeboten liegt ja auch darin, dass sie einerseits gewünschte Emotionen bis zu einem gewissen Abnutzungsgrad wiederholbar machen. Zugleich aber bieten Sie auch die Möglichkeit neue emotionale Entdeckungen zu machen. Neue Musiker, neue Schauspieler, neue Kompositionen usw. bedienen das Bedürfnis nach Variety-Seeking. Das gilt auch für einzelne journalistische Informationsstücke, nur diese werden ich kein zweites Mal lesen. Und da der Konsument das weiß, wird er sich den permanenten Kauf von Einzelbeiträgen á la Blendle überlegen und warten, bis er eine Information, die veröffentlicht wurde, kostenlos bekommt. Informationen haben eine völlig andere Halbwertszeit als Unterhaltung.

09. November 2014 von Thomas
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