Mit Unbestimmtheit Meinung machen

Zeit-Online vom 16.01.2016 zum Thema „Junge, aber wenig qualifizierte Flüchtlinge“:

„(…) In den vergangenen Monaten kamen zudem Hunderttausende Flüchtlinge ins Land. Hunderttausende vor allem junge Männer, die in den kommenden Jahren auf den deutschen Arbeitsmarkt drängen werden – und deren berufliche Ausbildung in der Regel unklar ist. (…)“

Ein beliebiger Satz, quasi als Zufallsziehung gegoogelt, aus den Beiträgen in deutschen Medien gestern. Er soll stellvertretend für den Gebrauch von unbestimmten Zahlwörtern stehen, mit denen – absichtlich oder unbewusst – Meinung gemacht wird. Er ist auch nicht aus dem Zusammenhang gerissen.

  • Sind „vergangene Monate“ nun zwei, drei, sechs oder elf Monate?
  • Wieviel versteht man ganz genau unter „Hunderttausende Flüchtlinge“? Zweihundert-, vierhundert oder vielleicht siebenhunderttausend Flüchtlinge?
  • „Hunderttausende vor allem junge Männer“ – sind hiermit zweihunderttausend vor allem junge Männer von vierhunderttausend Flüchtlingen insgesamt oder doch sechshunderttausend Männer irgendwelchen beliebigen Alters von siebenhunderttausend Flüchtlingen insgesamt gemeint?
  • Diese drängen auch noch in den „kommenden Jahren“ auf den deutschen Arbeitsmarkt. Immerhin Plural, aber in zwei oder sechs Jahren?

Der oben zitierte Satz ist natürlicher völliger Un-sinn, bar jeder Evidenz, aber gerade deswegen in seiner Tendenziösität gefährlich. Was will er aussagen? Die Flüchtlinge nehmen den Deutschen die Arbeitsplätze weg? Was daraus an Stereotypen und rechts-populistischen Kampfparolen gemacht werden kann, das lässt sich befürchten.

Zur Klarstellung: der obige Satz ist zufällig gegoogelt. Vergleichbare Verwendungen finden sich im Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen und Straftaten in Köln, der Anzahl an Flüchtenden auf den Flüchtlingsrouten, bei der Einreise, bei der Abschiebung usw.

Viele, wenige, einige, manche, etliche, eine geringe Anzahl, zahlreiche, ein paar, einzelne, vereinzelte, gesamt, verschieden, zahllos, dutzende, hunderderttausende, ungezählte, ganz , unzählige, etwas, alle, ein bisschen, nichts usw.

Es wären für eine realistische Berichterstattung in diesem politisch, gesellschaftlich und zwischenmenschlich sensiblen Themenfeld förderlich, tendenziöse Interpretationen auszuschliessen oder doch zumindest einzuschränken. Wenn schon nicht die Politiker, dann müssen doch wenigstens die Medien Numeralien, also in Anzahl und Menge bestimmbare Zahlwörter verwenden. Oder gar nicht auf eine Anzahl oder Menge rekurieren.

17. Januar 2016 von Thomas
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