Irrationales Phänomen?

Der Herr Döpfner vom LSR-Leadverlag Axel Springer AG hat ein Interview gegeben – dem wallstreetjournal.de. Da hat er ein paar spannende Sätze gesagt, und ja, auch ein paar überraschende.

Spannend finde ich die folgende Aussage auf die Frage, ob das Land bessere Zeitungen braucht oder ob das Medium nicht mehr zeitgemäß ist: „Zu allererst haben wir es mit einer strukturellen Verschiebung von der analogen gedruckten Welt hin zur digitalen Welt zu tun. Darauf müssen wir reagieren und die große Chance, die uns dadurch geboten wird, erkennen und nutzen. Jetzt ist die Zeit gekommen, die Zeitung vom Informationsträger Papier zu emanzipieren.“  Die Erkenntnis haben wir ja nun seit 15 Jahren, mindestens. Und ich finde, der iKiosk der Axel Springer AG mit den PDF-Versionen seiner Zeitungstitel ist nun nicht das Nutzen der großen Chance. Und die „Paywall“ der Welt, die keine ist, ist das Abkupfern bei der New York Times. Frei nach dem Motto ‚Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass‘ ist es eher ein Vermeidungsverhalten, weil ja eben nicht konsequent gezahlt werden muss, indem die Cookies gelöscht werden können oder man den Weg über Google geht. Natürlich will der Herr Döpfner seine Reichweite zu Lasten der Werbeerlöse nicht auf’s Spiel setzen. Aber er hat sich in vorherigen Interviews in Sachen Paywall so aus dem Fenster gelehnt, da musste er wohl mal was tun.

Spannend finde ich auch den folgenden Passus, den ich mal etwas kürze: „Journalismus wird besser (…) Digitaler Journalismus kann interaktiv sein, die Intelligenz der Leser einbinden (…) Und letztlich wird digitaler Journalismus auch chancengleicher sein, weil nicht inhaltliche bisher gültige Erfolgsmerkmale entfallen. Die Qualität des verwendeten Papiers, der Druckmaschinen und nicht zuletzt der Anzahl der Vertriebsstellen. All das spielt für den Erfolg keine Rolle mehr. Das einzige Unterscheidungsmerkmal ist der Inhalt.“ Hier hat er Recht, aber es ist etwas hinzuzufügen. Es kommt natürlich nicht nur auf den Inhalt an. Auch auf die Form, z. B. die Nutzerführung in Apps oder der Aufbau von Web-Seiten auf Smartphones. Ohne Abstriche an der substanziellen Essenz der journalistischen Beiträge gehört auch Anmutung, Ästhetik, Einfachheit und Unterhaltungswert dazu. Bis auf einige Ausnahmen, Zeitonline ist so eine, finde ich, sehen die meisten journalistischen Seiten aus wie ausgekotzt. Es herrscht die visuelle Konfusion aus Bildchen, Buttons, Linien, Hintergründen, Google Ads, Bannern, z. B. hier oder hier.

Dieser Satz über die Macht der Marken finde ich auch spannend: „Selbstverständlich ist die journalistische Marke von großer Bedeutung. Ich bin davon überzeugt: Die Zukunft im Netz gehört den starken Marken. Trotz oder gerade auch wegen der grenzenlosen Vielfalt werden die Internetnutzer ihre Sehnsucht nach einem kollektiven Kommunikationserlebnis nicht verlieren. Wenn jeder einen anderen Blog liest, wissen die Menschen irgendwann nicht mehr, worüber sie sich unterhalten können. Auch auf dem virtuellen Marktplatz wird es daher in Zukunft eine Nachfrage nach verlässlichen Marken geben, die bestimmte Inhalte für bestimmte Zielgruppen anbieten.“ Ja, aber das müssen nicht zwangsläufig klassische Inhaltsmarken sein, egal ob sie nun auf einer papiernern Vergangenheit beruhen oder direkt im Internet entstanden. Ich glaube, wir werden in Zukunft starke „Brandet Journalists“ haben. Denen werden die Nutzer eher vertrauen und sich an diese binden, als an dpa-Meldungen unter einer typischen Medienmarke. Es wird eine Bewegung geben von Branded Houses hin zu Houses of Branded Journalists.

Und jetzt die überraschenden Sätze: „Wer mit Bezahlangeboten in einem Umfeld agiert, in dem vieles noch kostenlos ist, der hat es naturgemäß schwer. Der zweite Aspekt ist, dass es sehr schwierig und aufwändig ist, eine für den Leser möglichst einfache Bezahltechnik zu entwickeln.“ Und dieser hier zu folgender Frage: „Warum ist es so viel schwerer, Lesern beizubringen, dass sie für Journalismus auch im Internet bezahlen müssen? Das ist die beste Frage, die sie bisher gestellt haben und die erste, die ich nicht beantworten kann. Da stehe ich selbst ratlos vor einem irrationalen Phänomen.“

Der (potentielle) Leser ist ein irrationales Phänomen? Nein ist er nicht. Er kauft keine Produkte, er kauft Nutzen. Er wägt ab zwischen Sinn, Nutzen und den angebotenen Eigenschaften. Und er fühlt, ob eine gute Beziehung zur Marke da ist, ob er sich mit der Marke verbunden fühlt, ob er zufrieden ist. Kurz: Ob es ihm wert ist dafür zu zahlen. Diese Consumer Insights gilt es herauszufinden. Methoden dazu gibt es, z. B. mit Hilfe von Conjoint-Measurement-Analysen. Und vielleicht kommt dabei heraus, dass die bisherige Qualität aus Marke, Inhalt und Form eben nicht viel wert ist.

30. Januar 2013 von Thomas
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