Rotten Business: Gekaufte Redaktion

Der Bundesgerichtshof hat gestern nochmals in einer Entscheidung klargestellt, was vorher rechtlich schon klar war, aber was Geschäftemacher nicht abhält: Gekaufte Redaktion muss klar mit dem Wort „Anzeige“ gekennzeichnet werden und sich auch formal für den Leser erkennbar abheben. Ich habe vor wenigen Wochen ja schon dazu ausführlich gebloggt.

Ich fand dieses Abwägen, was ist Redaktion und was ist gekaufte Redaktion, also Anzeige, schon immer zum kotzen. 15 Jahre lang lief ich als Verantwortlicher für das Anzeigengeschäft zu den Chefredakteuren, wenn ein Kunde eine PR-Agentur Texte gegen Geld unterbringen wollte. Da bettelst du als Depp um einen Termin, um die Chance auszuloten. Obwohl Du weisst, das es gegen das UWG und das Presserecht verstösst, gehst du hin. Der Kunde droht ja mit teils heftigen Umsatzchancen. In den rezessiven Zeiten machen Werbeverkäufer Druck, denn sie wollen ihre Provisionen und Boni, da machen die Kollegen Druck („Haben Sie’s überhaupt richtig versucht? – Betonung liegt auf „richtig“), weil sie um ihre Jobs fürchten, wenn die Umsätze weiter rückläufig sind. Und die verantwortlichen Redakteure haben genauso innerlich gekotzt. Völlig zu Recht, weil die Rechtslage ja klar war und sie eine Überzeugung haben. Aber auch sie standen unter Druck, den Niedergang des Geschäftsmodells nicht freiwillig zu befeuern, den Redaktionskollegen in der großen Runde mal wieder zu erklären, warum die Etats gekürzt werden. Oder manchmal auch, um einem befreundeten Ex-Kollegen, der jetzt in der PR-Agentur oder in der PR-Abteilung sitzt, nicht in den Rücken zu fallen.

Und nun ja, da gab es eben Verleger und Beauftragte des Verlegers, die sich natürlich „eingemischt“ haben. Sei es, dass die Lebensgefährtin des Redakteurs als PR-Beraterin Geschäfte mit solchen Kunden machte und diese gar zu offensichtliche Reissleine gezogen werden musste. Sei es, dass zu hart ablehnende Redakteure dann mal ins Gebet genommen wurden oder ein Eintrag ins „goldene Büchlein“ erfolgte.
Anschliessend wurde dann ich ins Gebet genommen: „Lassen Sie sich was einfallen, sei Sie doch mal kreativ oder können Sie nicht richtig verkaufen?“. Ich hätte kotzen können.

Gut. Es gibt eben die Grauzone, die dann „Sonderveröffentlichung“ heißt oder „präsentiert von“ und der Kunde mit einem Vorwort, Grußwort, Interview des großzügigen Sponsoren bedacht wird. Es gibt auch die „sponsored posts“ einer Huffington Post die sich vom redaktionellen Look & Feel nicht unterscheiden lassen. Oder die „Gastbeiträge“ des Wolfram Weimar Mediums „Börse am Sonntag“. Diese fallen durch besonders kritisches interviewen auf. Zitat: „BaS: ActivTrades zählt zu den erfolgreichen CFD-Brokern. Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Gründe für das starke Unternehmenswachstum?“

Das funktioniert auf drei Wegen: Erstens, derartige Beiträge sind direkt bezahlt (Beispiel wieder von der Börse am Sonntag hier), aber nicht gekennzeichnet, also die ganz harte Nummer. Zweitens die Beiträge sind indirekt bezahlt, weil in der identischen oder nächsten Ausgabe eine Anzeige steht (Sorry Börse am Sonntag, schon wieder Ihr hier am Beispiel Wikifolio) oder drittens, der Beitrag wird nicht als „Anzeige“ gekennzeichnet, sondern als „in Kooperation mit“.

Das nenne ich die Push-Mechanik. Der Kunde lockt mit Umsätzen. Ein wesentliches Geschäftsfeld ist dieses für kleine Verlage mit spezialisierten Fachtiteln. Da sind ja meist Branchenberichte und Kunden identisch. Es ist das Geschäftsfeld der Sonderthemen auch für etablierte Qualitätstitel. Auf diesen Modellen basiert auch ein Großteil der Anzeigenblätter (wie im oben geschilderten BGH-Urteil), ferner die ganzen Mode- und Lifestyle-Magazine. Hier lassen sich Redaktion und gekaufte Redaktion bzw. Anzeigen nicht mehr unterscheiden. Branchenüblich ist hier die Kennzeichnung als „Promotion“.

Der ADAC ist jetzt mit fingierten Leserwahlen aufgefallen. Würden die investigativen Redakteure mal bei den ganzen Auto- und Technikzeitschriften recherchieren, dann möchte ich nicht wissen, was da herauskommt. Aber auf Nestbeschmutzung darf man nicht setzen. Da braucht es mal einen Typ „Snowden“. Anmerkung am Rande: Ich flehe die Stiftung Warentest an: Lasst alles, alles mit rechten Dingen zugehen!

Ganz dreist sind sind manchmal auch „Dossiers“ und „Specials“. Zum Beispiel von „Capital“ im Januar 2014. Das Thema: „Ihr persönlicher Rentenplan“. Einziger Anzeigenkunde: ERGO. Motive: „ERGO Rente Garantie“ und „Wir beraten Sie“. Ziel: Agenda Setting. Formaljuristisch: kein offensichtlicher Verstoß gegen die Paragraphen. Faktisch aber gekaufte Redaktion oder die Doppelmoral der im Impressum genannten Verantwortlichen.

Dossier Rente Capitel 01/2014

Dann gibt es noch die Pull-Mechanik: Der Kunde droht mit Umsatzstorno und Verlag und Redaktion gehen gemeinsam zur Wiedergutmachung mit Interviews oder Beiträgen in einer der folgenden Ausgaben über.

Einen ganz drastischen Fall von Thyssenkrupp habe ich ja hier schon kurz beschrieben. Das geht im Prinzip so: Entweder wird sich offen über einen kritischen Artikel beschwert und weitere Werbeschaltungen werden storniert, was in die Hunderttausende gehen kann, oder aber es herrscht Schweigen, nur das der Titel im nächsten Werbeflight nicht mehr dabei ist und keiner weiss erstmal so genau warum, bis die ersten Hinweise „geleakt“ werden, meist von der Mediaagentur

To make a long story short: Viele Medien mit Redaktionen und Werbevermarktern sollten sich beim Thema Korruption, Ethik und Moral an die eigene Nase fassen. Aber ich habe auch Titel und Verantwortliche mit klarer Haltung und Kante erlebt.
Asche auf mein Haupt: Ich blicke ebenfalls rückwirkend kritisch auf mein eigenes Gebaren bei so manchem Fall oder „kreativen Einfall“ zurück.

Heute bin ich überzeugt: Nur Verleger und Redakteure (siehe auch die Umfrage von Online-Redakteure beim „Journalist„) mit klarer Haltung werden überleben in diesem Krieg um öffentliche Wahrnehmung in einem Rotten Business. Brandeins titelt aktuell so wunderbar: „Kauf, Du Arsch“. Übersetzt könnte man sagen: „Lies, Du Arsch“.

Ich überlege eine gemeinnützige Transparenz-Initiative zu starten. Ähnlich Transparency International sollte es einen Korruptionsindex für Qualitätsmedien geben, der jährlich veröffentlich wird und den Lesern in einem Ranking zeigt, wie unabhängig Redaktionen wirklich sind und dem Leser/Hörer/Zuschauer zu dienen. Wer macht mit?

07. Februar 2014 von Thomas
Kategorien: Allgemein, Geschäftsmodell, Qualitätsjournalismus, Werbung | Kommentare deaktiviert für Rotten Business: Gekaufte Redaktion