Wofür stehst Du?

Eine der spannensten Ausgaben von Brand Eins war die Ausgabe Februar 2013 mit dem Schwerpunkt „Wofür stehst Du?“. Es ging um Marken und ihre Glaubwürdigkeit. In Tagen wie diesen, möchte ich diese Frage auch einigen Medien stellen, weil ich verzweifelt nach Orientierung suche: Wofür stehst Du…?

  • Google, Facebook, Amazon, Apple, Microsoft u.a.? Für Respekt vor dem Menschen und seinen im Vertrauen hinterlassenen Datenspuren oder für #wtf?
  • Funke-Konzern? Für das Zusammengehörigkeitsgefühl von Heimat, Region und ihren Menschen oder für Renditehunger durch billige Inhalte in billiger Form erstellt von schlecht bezahlten Journalisten?
  • Axel Springer AG? Für die Zukunft eines engagierten Journalismus oder für die Vermarktung von persönlichen Daten?
  • „Stern“? Für die große Illustrierte, die den Deutschen die ganze Buntheit der Alltagskultur vor Augen hält oder für Belanglosigkeit und Langeweile?
  • ARD-Brennpunkt? Nur noch für heißes Sommerwetter und Hochwasser gaffen oder auch für Berichte über Bürgerrechtsverletzungen in Deutschland durch NSA & Co.?

Antworten auf solche Fragen sind existentiell, denn sie stehen für die Gene einer Marke. „Ich stehe für (…)“ ist der Sp(i)rit für Mitarbeiter an der täglichen Markenarbeit, für die Kommunikation und das Handeln gegenüber Kunden, die solche Fragen denken. Dieser Spirit muss aus der Kultur des Verlages, des Senders, der Redaktion und der strategischen Markenführung kommen. Deren Ressourcen sind ja nicht Geld oder Maschinen und Immobilien, sondern Wissen, Kreativität, Handlungsenergie und Charisma der handelnden Menschen.

Ausgehend von einer Antwort können dann die nächsten Fragen gestellt werden: Wie setzen wir das um und machen das? Und was genau ist unser Angebot, unser Produkt oder unsere Dienstleistung, für die wir Geld haben wollen? Der Prozesse der Schöpfung von geldwertem Nutzen muss in erster Linie emotional gedacht werden.

Es gibt inzwischen viele Marken, die eine Persönlichkeit besitzen, d.h. denen man Züge zuordnen kann, wie sie auch Menschen zugeordnet werden. Mit konkreten physischen und emotionalen Eigenschaften, mit Charakterprägungen und Verhaltensweisen, mit Kommunikationsmerkmalen oder Darstellungsstilen usw. Das sind dann starke Marken würden wir sagen. Allerdings reicht das nicht mehr in einer Welt, die komplett aufgeklärt ist, und in der viele Angebote dem „Sensation Seeking“ der Konsumenten dienen. Das gilt insbesondere für mediale Marken, die das Bedürfnis nach Thrill und der Vermeidung von Langeweile bis weit über die Grenzen der Erträglichkeit stillen (ich nenne nur die Doku-Soap „Wild Girls“ auf RTL). Und häufig genug auf Kosten anderer Menschen, die vorgeführt werden. Darin liegt einer der Gründe für die Markenerosion deutscher Medienangebote. Beispiele ließen sich aus allen Gattungen finden von Radiowellen über TV-Sender bis zu diversen Magazinen und so manchem Online-Angebot.

Ich vermisse zunehmend das mit Medienmarken verbundene Werteset, also die Seele eines Magazin, einer Zeitung oder eines TV-Kanals. Ich vermisse den Spirit, das Spirituelle. Welches Werteset wird angeboten, mit welchen Werten wird der Nutzer mental entlastet (Stichwort Ökologie, Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung) oder mit welchen Ideen kann er sich innerlich verbinden (Stichwort Freiheit, Privatsphäre, Gut & Böse, Freude, Neugier usw.). Die Entscheidung, welches Magazin ich am Kiosk kaufe oder downloade, entscheidet sich ja nicht dauerhaft über die einzelnen Beiträge, die Anzahl der Zeilen oder den jeweiligen Themenmix – das kann ich ja nur nach dem Lesen beurteilen, jedoch nicht vorher. Die Entscheidung wird eher eines des Glaubens sein, der wiederum vom Werteset, das das Magazin dem Leser bietet, abhängig ist. Wertesets gehen über das hinaus, was Marketers als Positionierung und Markenkern bezeichnen.

Marken müssen nicht nur individuelle und soziale Werte anbieten. Darüber hinaus gehört auch eine gute Portion Sehnsucht und Unerreichbarkeit dazu – so ein wenig die Antwort nach dem „Sinn des Lebens“. In Verbindung mit Tradition, Zeitlosigkeit, Originalität und einem gewissen Mythos, der die Marke umweht, erlangen solche Marken Anziehungskraft. Es geht um Echtheit, Authentizität und nicht um ein Schielen auf das Geld oder das Rankuscheln an den Nutzer durch Ethik- oder Werte-Washing.

Ja, es gibt die Medienmarken, die aus meiner Sicht eine Seele haben. So ganz subjektiv.

  • „Brand Eins“ hat wirtschaftliches Nachdenken, persönliches Fühlen und zupackendes Handeln mit Substanz, Verantwortung und Nachhaltigkeit in ein Monatsmagazin gepackt. Die Redaktion hat in seiner Vita dafür kämpfen müssen.
  • „Die Zeit“ schafft den wöchentliche Spagat aus Aktualität und Zeitlosigkeit von Themen mit Hintergrund, Substanz aber auch mit Ästhetik und intellektueller Unterhaltung zu verbinden. Lesen und (Nach-)Denken kann auch schön sein. Ein langer Weg seit Mitte der 90iger Jahre.
  • „1Live“ vermittelt jungen Hörern im „Sektor“ (NRW) Zugehörigkeit, Gemeinschaft, Sachdienlichkeit und Aufklärung in Verbindung mit anregender, abwechslungsreicher Musik und einer Tonality, die nicht aufgesetzt wirkt, sondern nah und authentisch. Die Redaktion sollte mal einen wöchentlichen Polit-Talk namens „1Live“ im Ersten zur Primetime machen. Denen würde man sehbeteiligungstechnisch die Bude einrennen – von Jung und Alt.
  • Das Feuilleton der „FAZ“ gibt mit (Marke) Frank Schirrmacher seit Jahren den intellektuellen Takt der relevanten Zukunftsthemen vor. Denen man nicht folgen muss. Aber der Riecher für die Themenrelevanz der klugen Köpfe ist beeindruckend. Die alte, machmal rostig wirkende Tante FAZ beschreibt und erklärt uns die Zukunft, schürt Ängste und nimmt uns Ängste.
  • Der „Tatort“ ist das einzig wesentliche TV-Format, das neben dem Dschungel-Trash ein mediales Ökosystem um sich geschaffen hat: Vorberichte zum Tatort, Live-Berichte über Twitter (Second Screen ist hier das Buzzword), Public Viewing, Nachberichte über den Tatort. Warum? Weil die Drehbücher menschlich relevante Wertesets des sozialen Zusammenlebens mit Helden bzw. Antihelden dramaturgisch unterhaltsam verpacken. Wie gute Hollywood-Filme beschreiben die Tatorte Heldenreisen (bis auf den Tatort-Klamauk des Saarländischen Rundfunks). Allerdings ist die Marke Tatort in der Gefahr, überdehnt zu werden.
  • „Landlust“ hat Werten und Sehnsüchten wie Heimat, Natur, Geborgenheit, Sinnlichkeit, Poesie usw auch eine Heimat gegeben: Sicherheit und Balance für das Leben. In einer schnellen, harten, erfolgsorientierten wie zugleich hedonistischen Welt ist das Magazin der Gegenpol. Die Leser verstehen das intuitiv.
  • „Arte TV und Web“ hilft dabei, zu vielen gesellschaftlich-relevanten Themen die Frage „wofür stehst Du?“ leichter zu beantworten. Arte verleiht den Themen moderne Bilder und lebendige Sprache. Mit Themenabenden, Reihen, Filmen und Schwerpunkten. Zur Zeit z.B. „The Summer of Soul“ – grandios – oder „Future„.

Aus der Motivforschung weiss man seit langem – hier sei beispielhaft auf Norbert Bischof und das Zürcher Modell der sozialen Motivation verwiesen – welche Grundmotive jeder in uns trägt, wie die daraus resultierenden Bedürfnisse belohnt werden müssen, welche Schmerzen vermieden werden wollen und das alle Grundbedürfnisse mal mehr, mal weniger, bei dem Einen so und bei dem Anderen so, bedient werden müssen. Wer Angst spürt, der empfindet mentale Schmerzen. Dann sucht er nach Sicherheit (Belohnung), um die Schmerzen wieder los zu werden. Wer auf dem Land lebt, will die Anregung der Stadt (Spaß, Abwechslung, Auswahl, Kultur), wer in der Stadt lebt, der sucht die Geborgenheit des Landlebens (Ruhe, Kontemplation, Besinnung). Wer in der Wirtschaft oder im Sport erfolgreich sein will (Selbstbewusstsein, Macht, Dominanz, Leistungsstolz), der sucht nachdem erforderlichen Wissen (als Waffen, Wissen ist Macht) und ist stets zum Kampf bereit. Und wer Erfolg hat, der erfreut sich am Genießen und loslassen vor Stolz. Wer eine zeitlang diszipliniert und asketisch gelebt hat und Langeweile verspürt (Schmerz), der sucht nach Stimulanz, Spaß und ist neugierig (Belohnung). Und alles vice versa.

Die Motivation nach mehr Sicherheit, mehr Autonomie und Selbstbewusstsein sowie Anregung und Abwechslung kann hervorragend von Medien bedient werden. Sie müssen sich als Marke aber klar mit den jeweils dazugehörigen Werten bekennen. Wenn die Medienmarken-Erosion gestoppt werden soll, dann sollte wieder substanzielle Markenarbeit geleistet werden. Auch für mediale Angebote gilt der Satz: „Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit.“

04. August 2013 von Thomas
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