Datenspionage kann man nicht riechen

Unsere elementaren Grundrechte werden unterlaufen und das wohl nicht erst seit es Edward Snowden in seiner Massivität publik gemacht hat. Vor dem Hintergrund der Snowden-Fakten versteht man nicht, warum dieses Thema bei den Lesern und Mediennutzern nicht ankommt.  In Bälde sind Bundestagswahlen. Eigentlich müsste man der Politik mit dem Thema Feuer unterm Hintern machen. Die Qualitätsmedien und die Journalisten definieren sich als vierte Gewalt im Staate. Doch trotz deren Bemühungen – es gibt keine Welle die durch die Gesellschaft geht. Und deshalb verschwindet dieses Thema so langsam in der Reihenfolge der Themen des Tages wieder. Was kann der Journalismus und was können die verantwortungsbewussten Medien tun?

Damit eine Welle durch die Gesellschaft geht, weil es die elementaren Grundrechte betrifft, müssen die Emotionen der Menschen berührt werden. Und emotional geht das Thema an vielen Demnächst-Wahlberechtigten und Politikern vorbei. Damit kann man das Wahlvolk nicht aufrütteln.

Das Abschöpfen und Kopieren von persönlichen Daten kann der Mensch in einer digitalen Welt mit seinen Sinnen nicht wahrnehmen. Man kann es nicht sehen oder hören, weder ertasten noch schmecken und schon gar nicht riechen. Hacker oder Sicherheitsexperten haben vielleicht Tools und Mittel Datenhacks sichtbar zu machen. Aber die sprechen eine Sprache, die die wenigsten Menschen verstehen. Geöffnete Briefe konnte man früher erkennen, abgehörte Telefonate hinterliessen ein knacken und Männer in Trenchcoat mit Schlapphut unten auf der Strasse erspürte man hoffentlich. Nein, den Stasi-Vergleich mache ich jetzt hier nicht. Mir geht es um was ganz anderes.

Es gibt zwei Wege zu Emotionen: das eigene Erleben oder die Beobachtung von Erleben bei anderen Menschen.
Emotionen wie Angst und Furcht oder auch Affekte wie Panik mit Flucht- oder Kampfgedanken werden beim Menschen im Gehirn gesteuert. Dort gibt es die Amygdala als Teil des Limbischen Systems. In diesem werden vereinfacht Emotionen gesteuert. Die Amygdala ist mit rund 250 Mio. Jahren einer der ältesten Gehirnteile und hat sich schon früh in der Evolutionsgeschichte herausgebildet. Sie analysiert die eingehenden Signale der Sinnesorgane, aber auch die Informationen interner Quellen, z. B. des Gedächtnisses, hinsichtlich einer angemessenen Reaktion. In der Amygdala werden vereinfacht die in der Vergangenheit gemachten guten und schlechten Erfahrungen mit den eingehenden Signalen abgeglichen. Bei schlechten Erfahrungen kommt es zur Sendung von Signalen an andere Gehirnbereiche, wie den Hypothalamus, um körperliche Reaktionen auszulösen. Das kann von Unbehagen bis zu Erstarren reichen.

Emotionen und Kognitionen werden zum allergrössten Teil implizit, d.h. unterhalb der Bewusstseinsschwelle verarbeitet. Sie kommen uns als Gefühl zum Teil ins Bewusstsein. Zu Zeiten der Giftschlangen und Säbelzahntiger konnte sich der Mensch so vor den Gefahren schützen. Das Limbische System nimmt über die Sinne Gefahren war und reagiert falls erforderlich. Erst danach gehen eventuell Informationen an die Gehirnareale, die für Bewusstseinsvorgänge zuständig sind. Beispiel: Wenn man sich erschreckt kommt erst die körperliche Reaktion und anschließend wird uns bewusst „Hey, ich habe mich erschreckt“. Anschließend können wir dann bewusst feststellen „okay, alles ist gut“. Ohne die implizite Verarbeitung würde der Mensch bei den weit über 100.000 Sinneseindrücken innerhalb eines Tages völlig zusammenbrechen.

Bleiben die inneren Signale aus dem Gedächtnis. Es wurde ja schon darüber spekuliert, warum sich die Menschen früher bei Volkszählungen aufgeregt haben. Da gab es immerhin Episoden bzw. Geschichten im Kopf: Es schellten Frauen oder Männer an der Tür mit Ausweis und Fragebogen, den Fragebogen konnte man visuell wahrnehmen und die Fragen lesen. Dann wurde einem halt sehr schnell bewusst, welche Gefahren dahinter stecken.

Emotionen wie Angst und Unsicherheit kann man ganz simpel als innere „Schmerzen“ bezeichnen, die man verhindern will. Sie fühlen sich ja auch beschiessen an. Emotionen wie Freude dagegen sind innere Belohnungen. Davon kann man nicht genug bekommen. Das Limbische System decodiert rund um die Uhr die Signale der Sinnesorgane auf ihre Bedeutung für Belohnung oder Schmerz.

Wenn der Mensch nun aber über die Ausspähungen keine Signale direkt empfängt? Dann rührt sich in der Amygdala auch nichts. Bleiben also noch die Medien, mit deren Hilfe man Signale aufnehmen könnte. Aber blickende Leuchtdioden von Webservern, Kabelstränge in Datenzentren, Servertürme oder auch das immer gleiche Photo von Edward Snowden lösen eben auch keine Reaktion der Amygdala hervor. Und nur diejenigen, die Gefahren abstrakt, also Kraft ihres Intellekts verarbeiten können reagieren. Die sitzen dann in Talkshows oder schreiben in Zeitungen. Aber sie haben keine Bilder, die sie darüber vermitteln können.

Der Mensch hat im Laufe der Evolution eine weitere faszinierende Fähigkeit entwickelt. Er hat Empathie, d. h. Einfühlungsvermögen. Er kann sich in andere Menschen herein fühlen und in seinem Gehirn werden dann über sogenannte Spiegelneuronen die gleichen Areale wie die Amygdala aktiviert, die auch aktiviert würden, wenn es ihn selber betreffen würde. Dazu ist der Mensch in der Lage, Gefühle aus Gesichtern und der Körpersprache zu entschlüsseln. Diese Fähigkeit ist überlebenswichtig, weil der Mensch ein soziales Wesen und von anderen abhängig ist. Mit der Zeit der Evolution hat er einen Instinkt für Recht und Unrecht, Gut und Böse entwickelt. Dieser Instinkt und die Fähigkeit zu Empathie und Sympathie wird als Theory of Mind beschrieben. In der Folge weinen wir im Kino oder Lachen beim Lesen einer lustigen Geschichte. Die Unterhaltungsexperten der Filmindustrie wissen, welche Codes und Signale sie aussenden müssen, um diese Gefühle und Emotionen herauszulocken.

Aber genau derartige Signale, Bilder, Filme, Metaphern oder Bespiele sind beim Thema Datenspionage so unendlich schwierig zu produzieren. Weil man Daten eben nicht sehen, hören, schmecken, riechen oder ertasten kann. Sie als Nullen und Einsen zu zeigen ist auch kein vielversprechender Weg.
Eine Möglichkeit besteht in der Beschreibung und der Darstellung von unschuldig Betroffenen. Aber diese Fälle sind bisher nicht gefunden. Würde man unschuldige Menschen als Opfer zeigen, dann würde die Empathie für das Mitfühlen sorgen, also auch Angst- und Unsicherheitsgefühle auslösen. Meine Hoffnung ruht auf Spielfilmen, die diese Problematik thematisieren und mit Kreativität Bilder produzieren und als innere Bilder und Geschichten abgespeichert werden. Aber damit wird man die Menge nicht erreichen.

Journalisten könnten neue Wege mittels Datenjournalismus beschreiten. Datenspuren können zu decodierbaren Bildern verdichtet werden. Vielleicht macht es Sinn, wenn sich Datenjournalisten mit Theater- und Filmregisseuren oder Schriftstellern zusammen tun, um Bilder zu produzieren, sind diese doch darauf spezialisiert, Emotionen sichtbar zu machen, also Empathie zu evozieren. Hierzu fordere ich auch explizit die Medien- und Journalismusforschung auf, weil das Abgreifen von Daten eine Herausforderung für deren Darstellung ist. Genügend Medienprofessoren gibt es ja schließlich in diesem Lande.

Wenn der Journalismus seinen Anspruch als vierte Gewalt aufrecht erhalten will – und das muss er, wer sonst – dann darf bei diesem Thema nichts unversucht bleiben. Unserer Grundrechte wegen.

 

15. August 2013 von Thomas
Kategorien: Allgemein, Content, Medienmarketing | Kommentare deaktiviert für Datenspionage kann man nicht riechen