Qualitätsjournalismus und die Logik der Finanzierung

tl;dr
Die Rendite-Krise der Zeitungsverlage hängt in erster Linie an rückläufigen Werbeerlösen. Tagesaktueller Qualitätsjournalismus muss sich langfristig aus der Werbefinanzierung verabschieden. Dahinter steckt die Logik von gestern auf Turbulenzen von heute und morgen.

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Es ist wie immer eine Definitionsfrage: Versteht man unter einer Tageszeitung bedrucktes Papier, das eine tägliche Neuauflage erfährt oder ist es mehr ein Synonym für tagesaktuellen Journalismus?

Die Abonnements-Zeitungen, d. h. ihre Eigentümer und das Management, beklagen und bewerten ja nicht die schwierige Situation des Journalismus oder ein Desinteresse der Menschen an Nachrichten, sondern sie beklagen den goldenen Dukatenesel, das sich vom Acker macht. 40-50% Umsatzrendite in der Spitze schmelzen dahin und die Meinungs- und Marktmacht in der Region bzw. dem Verbreitungsgebiet gehen verloren.

Was sind in der Rückschau die Gründe dafür? Einerseits entstand Konkurrenz durch die Inflationierung und Privatisierung der klassischen Medien sowie dem Internet, denn diese haben die marktstarke Stellung auf dem Werbemarkt erodieren lassen, und andererseits durch die Wirtschaftskrisen 2001 und 2007. Die geplatzte Internet-Blase und die Finanzkrise führten in der Folge zu drastischen Kürzungen der Werbebudgets nationaler wie regionaler Werbekunden. Das steigende, werbefinanzierte Medienangebot und die sinkende Nachfrage nach Werbung haben zu einem enormen Preisdruck für Werbeschaltungen geführt. So sind heute Gesamt-Rabattierungen von 70% plus X eher die Regel, als die Ausnahme. Im Ergebnis führte dies zu einem Verlust der Netto-Werbeerlöse der Abo-Zeitungen von über 50% gegenüber dem Jahr 2000 (ZAW.de). Der Erlösanteil der Werbung gegenüber den Vertriebserlösen ging durchschnittlich von zwei Drittel auf unter 50% zurück (BDZV, Zeitungen 2012/2013).

Der Preisdruck wird heute von Mediaagenturen und (!) Werbekunden aus Eigeninteresse systematisch und gezielt aufrechterhalten. Das Argument für die Rabattforderungen lautet: Es fehlen Leistungsnachweise einer wirtschaftlichen Werbewirkung für das Medium Tageszeitung. Das haben die Verlage viel zu spät realisiert und sie haben auch zu spät darauf reagiert. Jetzt werden sie Jahr für Jahr mit diesem Argument vor sich hergetrieben. Zu Umsatzverschiebungen aus anderen Werbegattungen oder erhöhten Werbebudgets kam und kommt es trotz Rabattierung nicht. Verhandlungen über Rabatte sind mittlerweile ein ritualisiertes Raufen und Jagen nach immer größeren Trophäen. Und um auch wirklich kein Rabatt-Getier auszulassen, werden Mediaagenturen im Kundenauftrag von sogenannten Media Auditern überwacht, die aus ihrer Beratungstätigkeit intime Kenntnisse über die Rabatthöhe des Werbemarktes haben. Und: Kunden lassen Mediaagenturen regelmäßig zu Rabatt-Pitches antreten.

Um Werbewirkung und Qualität geht es im Markt mittlerweile nicht mehr. Die Medien haben die Macht an Mediaagenturen, die Google‘s und Werbekunden verloren. Vom Verkäufer- zum Käufermarkt sagen die Volkswirte. Dieser Weg ist unumkehrbar. Diese Machtverschiebung beinhaltet eine reale Gefahr der Einflussnahme auf die Redaktion: Jeder zusätzliche Werbe-Euro ist kurzfristig so verlockend und dauerhaft so schädlich, wie harte Drogen es sind.

Es kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Klassische Werbung, insbesondere Tageszeitungswerbung, ist für die Kunden unsexy geworden. Beliebter ist PR (das neue Buzzword heisst „Content Marketing“), das Internet oder Eventsponsoring. Zudem fehlt die Effizienz, der Return on Investment, den die Controller einfordern.

Unsexy ist das Erlebnis „Totholz“ auch für jüngere Leser in der werberelevanten Zielgruppe der 14-49-Jährigen, das wissen auch die Werbetreibenden. Diese benötigen andere Erregungs- und Erlebnisniveaus, als die ältere Generation. Denen reicht vielleicht das Lesen und das Sudoku. Die Jüngeren wollen Nachrichten mit Bewegtbild, jungen Humor, Coolness und Interaktivität mit ihren Gleichgesinnten, denn in diese Welt sind sie hineingewachsen. Das wird eine Herausforderung für journalistische Angebote bleiben, siehe als Extrembeispiel Nachrichten von LeFloid auf Youtube.

Und so sind die schönen Verlagsrenditen dahin. Mit Cost Cutting, wie es z. B. der Funke-Konzern auch schon zu WAZ-Zeiten beherrscht hat, wie kaum ein Zweiter, lassen sich die Umsatzrenditen mit einer papierproduzierten Tageszeitung noch eine Weile bei immerhin satten 10-15% halten. Auf Kosten der Mitarbeiter, der Redaktionen und somit des Qualitätsjournalismus. Journalisten tauchen mit ihrem Wissenskapital in Bilanzen unter Personalkosten auf. Das aber genau darauf die Wertschöpfungsfähigkeit eines Verlages beruht, wird von Cost Cuttern vergessen.

Die Turbulenzen und Disruptionen, die entstanden sind, bieten dem tagesaktuellen Journalismus auf digitaler Basis großartige neue Chancen. Ihn mit der Logik und den Techniken von gestern finanzieren zu wollen, ist die große Gefahr. Das ganze Modell der Werbefinanzierung muss auf den Prüfstand. Oder wollen sich die Medien auf wenige Quasi-Monopolisten wie Google und globale Mediaagenturen verlassen? Wohl kaum.

Journalismus hat einen Wert an sich, wenn klar ist, für welche Grundüberzeugungen und Tugenden der einzelne Titel steht, statt dem Götzenbild des goldenen Kalbs zu huldigen. „Wofür stehst Du? Bist Du authentisch?“ Menschen kaufen nicht, was die Journalisten und Verlage tun, sondern warum sie es tun.

Klare Antworten auf diese Fragen brauchen geschärfte journalistische Marken der Redaktionen. Auch der konnotative Bezugsrahmen journalistischer Nachrichtenangebote muss geändert werden, um Zahlungsbereitschaft zu evozieren. Anziehungskraft kommt nur aus starken Angeboten mit Persönlichkeit, Seele, Erlebniswert (Experience) und, ja, Ästhetik. Mal ehrlich: Sind nicht viele Zeitungen und Zeitungs-Websites einfach nur hässlich? Anziehungskraft kommt nicht aus Markenware in standardisierter dpa-Qualität, irrelevanten oder piefigen Lokalnachrichten – die berühmte Spendenscheck-Übergabe –  und seitenerlös-optimierten Umfängen. In der Printbranche gibt es ja Beispiele, die das erfolgreich vorgemacht haben: Die Zeit, Landlust oder auch Brand Eins. Die Menschen wissen, wofür diese Titel stehen und haben eine ästhetische Anmutung. Daran sollten sich Zeitungsmacher mal orientieren.

Und so hat die gedruckte Tageszeitung mit Rendite-Hunger keine Zukunft, der tagesaktuelle Journalismus starker Marken aber alle Chancen in einer digital-vernetzten Wissensgesellschaft, für den es auskömmliche Zahlungsbereitschaft geben wird.

19. August 2013 von Thomas
Kategorien: Bezahlmodell, Geschäftsmodell, Qualitätsjournalismus, Werbung | Kommentare deaktiviert für Qualitätsjournalismus und die Logik der Finanzierung