Unboxing: iPad-App Handelsblatt Live

Seit heute mittag ist die neue iPad App des Handelsblatt „Live“ im App Store verfügbar. Noch mit den Inhalten der Wochenende-Ausgabe. Richtig startet sie „live“ dann ab morgen. Ich war ja seit Tagen schon sehr gespannt, wie führende Verlage die Disruption der News Industry  und damit auch des Qualitätsjournalismus und Paid Content begleiten werden: are they changing their business, because times change? Dazu gehörte auch das Handelsblatt. Machen wir mal einen Schnellcheck – sozusagen die digitale Version des populären Unboxing.

Unternehmen & Märkte vom 1.3.2013

Unternehmen & Märkte vom 1.3.2013

Die App ist mit knapp 12 Mb schnell runtergelassen. Begrüsst werde ich mit viel Orange und dem aus dem Background angestrahlten Handelsblatt Live – sieht schön aus. Dann die Titelseite des Handelsblatts vom vergangenen Freitag. Das Menü startet mit „Übersicht“. Da kann ich mir dann z. B. statt der App auch das E-Paper downloaden. OK, Old Economy, will ich ja nicht. Nächstes Menü „Meine News“: steht natürlich noch nichts drin, deswegen später mehr.

Das Design der Artikelseiten und der Übersichtseiten mag ich ganz spontan. Viel Weißraum, dezenter Farbeinsatz der Hausfarbe, das Layout ist einspaltig mit einer Seitenleiste links, die Serifenschrift ist auch auf meinem alten iPad 2 gut lesbar. Photos stehen in der Regel am Anfang jeden Artikels. Die Seite springt problemlos und schnell von vertikal auf horizontal. Um es kurz zu machen: Was ich schon vermutete, Layout und technische Umsetzung sieht ordentlich aus und es passt zum Handelsblatt wie ich es sonst kenne – vom Chaos der Website mal abgesehen. Werbung ist in der App auch schon. Ganzseitig und interaktiv, d.h. ich kann auf weitere Informationen tippen oder auf die Website weitergehen. Die Werbung stört nicht, sie ist anders als auf der Website oder in der Printausgabe nicht kleinteilig. Das bleibt hoffentlich auch so und das wünsche ich Verlag und IQ digital!

Ich nutze jetzt mal die Personalisierungsoptionen und folge zwei Autoren sowie mehreren Tags, die mir jeweils mit den Artikeln angeboten werden. Unter „Meine News“ werden ich daraufhin beim Menüpunkt „Meine Themen“ mit vielen Beiträgen konfrontiert. Aktuelle Artikel aus der Ausgabe, die gleich redundant auftauchen (vermutlich weil ich Apple und Google getagged habe und die Artikel mit diesen Stichworten nicht überschneidungsfrei sind), aber auch Artikel aus dem Archiv der letzten Tage. Eine Sortierung ist für mich nicht erkennbar. Ich fürchte, wenn ich in einigen Tagen 20-30 Themen-Tags folge, dann ertrinke ich schnell in der Flut. Eine Sortierung wäre also hilfreich. Gleiches bei den Tags nach Autoren. Eine eigene manuelle Indexierung kann ich leider nicht vornehmen, die dann z. B. in einer Abonnenten-Cloud gespeichert wäre. Auch von mir favorisierte Beiträge kann ich nicht mit eigenen Kommentaren versehen, um spontane Gedanken beim Lesen der Artikel zu notieren. Ich muss mir also selbst E-Mails senden, um so diese Aktion umzusetzen. Das ist irgendwie auch so old-ig und vor allem zu aufwendig, also lass ich’s…

Insgesamt beinhaltet die App eine sehr, sehr große Anzahl an einzelnen Beiträgen. Intuitiv vermisse ich eine Führung durch diese Informationsmenge. Der ganze Aufbau und die Leseführung sind so aus dem umblättern der Papierversion gedacht. Einzelne Artikel kann ich auf meine persönliche Merkliste setzen. Oder ich kann einen Artikel weitermailen über das iOS-Mailprogramm. Und da empfinde ich wieder eine ziemliche Enttäuschung. Es gibt keine Sharing-Optionen über soziale Medien, kein Facebook, vor allem kein Twitter, kein G+, ja nicht einmal eine Druckoption über Airprint. E-Mails sind irgendwie auch schon Old Economy. Da keine API’s genutzt werden, gibt es leider keine „most recommended“ oder „most read“ keine Likes, keine Anzahl der Tweets. Auch das ist schade, weil digitaler Journalismus gerade auch von der Vernetzung leben muss. Kommunikation mit den Redakteuren ist auch nur bedingt möglich. So werden zwar zu den Redakteuren E-Mail Kontakte angeboten, die dann gleich mit so einem gestelzten und unkorrekten Text versehen werden: „Sehr geehrter Handelsblatt-Autor Tanja Kewes, ich bin Nutzer der Handelsblatt Live-App und würde Ihnen über diesen Weg gerne ein paar Zeilen senden.“ Geht gar nicht: ich sende Grüße oder schreibe Zeilen und meine Kinderstube würde natürlich die Autorin anschreiben und nicht den Autor. Bitte ersatzlos streichen!

Die „Marktdaten“, also die Börsenkurse, sind anscheinend Realtime, automatisierter Content. Das ist ok, aber es fehlen Fonds, Renten usw. Die kann ich wohl nur über die WKN oder iSIN finden – dazu habe ich jetzt keine Lust…

Das „Infografik-Center“ beinhaltet in dieser Ausgabe eine (1!) Grafik „Rohstoffradar“, anscheinend ein png- oder jpg-Format. Sie lässt sich nicht zoomen oder bearbeiten oder weiterleiten oder drucken, schade.

Um es gehässig zu formulieren: Diese App kostet für 30 Tage knapp 40 Euro. Das ist viel Geld. Das Papier- oder PDF-Format kann ich ich ja mit (digitaler) Schere und (digitalem) Stift bearbeiten, in eine (digitale) Mappe legen oder drucken usw. Diese App hinkt der Papierausgabe technologisch hinterher.

Bei diesem Schnellcheck belasse ich das jetzmal und schaue mir die weitere Entwicklung an. Ich fürchte jedoch, die modernen Regeln des Qualitätsjournalismus für eine moderne Nutzer-Generation – Desintegration und ein offener Prozess – sind mit dieser App kaum zu realisieren. Ich sage dazu mit Clay Christensen „When Time Change, Change your Business“. Oder ich empfehle auch dieses Interview mit Clay Christensen und David Skok über das Nieman Lab.

03. März 2013 von Thomas
Kategorien: App, Bezahlmodell, Content, Geschäftsmodell, Qualitätsjournalismus | Schlagwörter: , , , , , | Kommentare deaktiviert für Unboxing: iPad-App Handelsblatt Live